Abb. 1: Stiftskirche Bassum, Chor mit Gipsinkrustations-Fußboden. Bild: Marco Gallmeier.

Abb. 2: Vorzustand im Randbereich der Apsis. Starke Verwerfungen und Rissbildung, rezente Notsicherungen und Zementergänzung am Anschluss zur Wand.

Abb. 3: Randbereich der Apsis, Zustand während der Restaurierung. Rezente Mörtel wurden entfernt, Fehlstellen mit Hochbrandgips im Lokalton geschlossen. Innerhalb der Ranken und Medaillons sind die Bereiche für die Inkrustationen in Rot und Schwarz geschnitten.

Abb. 4: Schafe in der mittlere Zone des Chors. Eine rezente Notsicherung im Bereich eines Kopfes wurde ausgearbeitet, die untere Gipsschicht der neuen Ergänzung bereits eingebracht.

Abb. 5: Vollständige Ergänzung. Nach Einbringen der roten Gipsmasse des Lokaltons wurde die Kontur des Schafkopfs ausgearbeitet und der Bereich mit weißem Gips gefüllt. Die schwarzen Inkrustationen erfolgten zuletzt.

Abb. 6: Die Ergänzung nach dem Feinschliff.

Abb. 7: Südostecke des Chors. Ergänzung im Bereich des Kabelkanals mit Hochbrandgips im Lokalton. Malerische Rekonstruktion der Ornamentik und des Zentaurs.

Abb. 8: Chor, Durchgang zur Sakristei. Bereich der ehemaligen Zementergänzung. Ocker und Schwarz der Innenfeldrahmung sowie das Band mit den roten Streifen wurden in Inkrustationstechnik ergänzt. Auf die Rekonstruktion der Ornamentik wurde verzichtet.

Die Restaurierung des Gipsinkrustations-Fußbodens in der Stiftskirche Bassum

Der polychrome Gipsinkrustationsfußboden befindet sich im Chorraum der Bassumer Stiftskirche St. Mauritius und St. Viktor. Die Stadt Bassum liegt etwa 25 Kilometer südlich von Bremen. Der Fußboden entstand im Zuge einer Kirchenrenovierung 1860–1869. In Niedersachsen existieren nur drei Fußböden dieser Werktechnik aus dem 19. Jahrhundert.

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Beschreibung und Geschichte
Die Darstellungen im Chorquadrat sind als mehrfache Kreisform in einem Quadrat angelegt (siehe Abb. 1). Figürliche Darstellungen, florale und symbolische Ornamentik sowie Schriftbänder bilden eine zentrierte, ausgewogene Symmetrie. Im Zentrum befindet sich das mittelalterliche Modell der Bassumer Stiftskirche auf einem Schiff, umgeben von Wasser. Östlich und westlich befinden sich die vier Paradiesflüsse. Der innere Kreis ist von einem weiteren Kreis gerahmt, der östlich und westlich durch die Gebotstafeln und das Lamm Gottes geteilt wird. In beiden Kreishälften befinden sich jeweils sechs Schafe. Dieser Kreis wird von einem Spruchband mit Ornamentik gesäumt. Im äußersten Kreis des Chores sind acht christliche Tugenden angeordnet. Die Sprüche zu den jeweiligen Tugenden stammen aus den Seligpreisungen der Bergpredigt. Die Zwickel zwischen den Tugendfeldern zieren florale Ornamente.

Nach außen schließen zwei weitere Kreisbänder, umschlossen von einem Quadrat, an. Die entstehenden Zwickel sind ebenfalls mit Ornamenten geschmückt. In der halbrunden Apsis sind Tauben und ein Weinstock abgebildet. Chor und Apsis sind gerahmt durch ein Band mit vegetabilen Ornamenten und Medaillons, in denen sich abwechselnd Drachen, Zentauren, Löwen und Sirenen befinden.

Die Kirchenrenovierung der 1860er Jahre leitete der hannoversche Architekt und Konsistorialbaumeister Conrad Wilhelm Hase.1 Die Kirchenausmalung und der Entwurf des Chorfußbodens wurde Heinrich Ludger Schröer übertragen, einem Schüler des bekannten Kölner Kirchenmalers Michael Welter.2 Die Ausführung des Gipsinkrustationsfußbodens oblag dem hannoverschen Bildhauer Theodor Maßler, der wenige Jahre zuvor auch den Gipsfußboden der Kirche in Bücken ausgeführt hatte.3

Bereits in den 1920er Jahren wurden gravierende Schäden am Fußboden festgestellt, so dass es 1927–29 zur Restaurierung durch den hannoverschen Bildhauer Friedrich Buhmann kam. Es wurde festgestellt, dass der Fußboden stellenweise abgetreten, abgesackt und gerissen war.4 Historische Fotos5 belegen, dass der Gipsestrich in großen Bereichen zerstört war. Insbesondere zahlreiche Hohlstellen hatten zu starker Rissbildung mit Absacken einzelner Fußbodenbereiche und zum Verlust kleinteiliger Bruchstücke geführt.

Material und Werktechnik
Als Bindemittel konnte bei der aktuellen naturwissenschaftlichen Untersuchung Hochbrandgips nachgewiesen werden.6 Hochbrandgips fand im Mittelalter verbreitet Anwendung und ist vielfach in Regionen mit Gipsvorkommen, so z. B. im Harz, als Mauermörtel, Verputzmörtel und Fußbodenestrich anzutreffen.

Durch Brenntechnik und Befeuerung entstand ein inhomogener Brand mit Temperaturen zwischen 200 und 1000°C und somit ein Gemisch aus unterschiedlich stark gebranntem Gipsgestein. Der Hochbrandgips erzielt bei der Aushärtung Festigkeiten, die nahezu mit denen von Zementbindemittel vergleichbar sind.

Beim Brand des Hochbrandgipses wird das aufgeschichtete Gipsgestein (CaSO4·2H2O) einer Durchschnittstemperatur von ca. 900°C ausgesetzt, wobei im Gips gebundenes Kristallwasser entweicht. Bei dieser Rehydratation entstehen unterschiedliche Mineralphasen des Gipses. Nach wie vor liegt Dihydrat vor, daneben Halbhydrat und Anhydrit.7 Hochbrandgips zeichnet sich durch das Vorkommen von Brenngutkörnern aus, die erst bei hohen Temperaturen durch selektive Lösung bestimmter Anhydritphasen im Abbindeprozess entstehen.8

Die Gefügemerkmale des bauzeitlichen Estrichbestands in Bassum deuten auf vergleichsweise niedrige Brenntemperaturen und hohe Mahlfeinheit hin. Der von Buhmann bei der Restaurierung 1927–29 verwendete Hochbrandgips unterscheidet sich davon vor allem durch den hohen Gehalt an primärem Anhydrit (thermisch geschädigt) und der sehr hohen Mahlfeinheit des Materials.

Der mehrschichtig aufgebaute Gipsestrich befindet sich auf einer bis zu 20 cm starken Sandschüttung. Die untere Estrichschicht mit einer Stärke von 30 bis 35 mm Stärke ist unpigmentiert. Darauf wurde die obere Gipsestrichschicht mit einer variierenden Schichtstärke zwischen 1 und 2 cm, entsprechend der Feldeinteilungen und Farbigkeiten aufgebracht.

Es wurden definierte Flächen im jeweiligen Lokalton ausgelegt. Sobald der Gips erstarrt war, konnte die nächste Form eingeschnitten werden. Diese Bereiche wurden mit andersfarbigen Gipsmassen ausgelegt. Dieser Arbeitsschritt wurde für jede weitere Farbe bzw. Form wiederholt. Die Bereiche der Inkrustationen wurden durchschnittlich etwa 5 mm tief ausgearbeitet. Die dünnen Linien der Binnenzeichnung und andere, sehr feine Details sind jedoch nur 1 bis 2 mm stark. Die gesamte Oberfläche wurde abschließend feingeschliffen und poliert.

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Bestand und Erhaltungszustand
Der Fußboden in Chor und Apsis weist einen bauzeitlichen Bestand von ungefähr 50 Prozent auf. Dazu gehören die Nord- und Südseite des Chorraums, Randbereiche der Apsis, und der mittlere Kreis des Chorfußbodens. Der restliche Bestand stammt überwiegend aus der Restaurierungsphase der 1920er Jahre.

In den Randbereichen von Chor und Apsis lagen zementhaltige Reparaturen vor, die in Materialeigenschaften, Oberflächentextur und Farbe stark vom übrigen Bestand abweichen.

Der Fußboden wies Hohlstellen, Risse, Höhenversprünge, Ausbrüche und lose Segmente auf. Die Schadensursache bestand u. a. in Bewegungen im Fußboden aufgrund einer gestörten Gründung. Im Randbereich der Apsis lagen vermehrt Risse und starke Niveauunterschiede vor, die hier auf Zementverfüllung eines Kabelschachts zurückzuführen waren (siehe Abb. 2 und 3).

Bestehende Ausbrüche waren überwiegend durch Notsicherungsmörtel geschlossen, wenige kleine Fehlstellen ließen sich feststellen. In vielen Zonen waren oberflächenparallele Abplatzungen von wenigen Millimetern erkennbar. In vielen Bereichen war die Oberfläche durch Abrieb stark reduziert. Zum Teil waren die Inkrustationen nur noch als hauchdünne Schichten erhalten. Die Oberfläche war insgesamt stark verschmutzt und zerkratzt.

Konservierung und Restaurierung
Die konservatorisch-restauratorische Bearbeitung umfasste die Reinigung, partielle Festigung, Hinterfüllung von Hohlstellen, Refixierung von losen Inkrustationen und Fragmenten und Ergänzung. Zudem wurde ein stark verworfener Bereich in der Apsis aufgenommen und niveaugerecht replatziert.

Besonderes Interesse verdient der Aspekt der Ergänzung. Es bestanden Fehlstellen in den Binnenflächen und außerdem befanden sich in den Randbereichen von Chor und Apsis umfangreiche Zementergänzungen, deren Schadenspotential und optische Erscheinung Anlass boten, sie zu entfernen. Bei einer der Reparaturen handelte es sich um einen stillgelegten Kabelschacht, den die Kirchengemeinde wieder nutzen wollte.

Dass die Altergänzungen entfernt und sämtliche neue Ergänzungen in Hochbrandgips ausgeführt werden sollten, konnte schnell festgelegt werden. Zur Methodik der Ergänzung bestand jedoch Diskussionsbedarf, da aufgrund der finanziellen Situation nicht alle Ergänzungen in Inkrustationstechnik ausgeführt werden konnten. Letztlich kamen die Beteiligten zu der Einigung, dass drei unterschiedliche Methoden zur Ausführung gelangen sollten.

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Bei Fehlstellen in den Binnenflächen von Apsis und Chor erfolgten Ergänzungen in Bestandstechnik (siehe Abb. 4 bis 6). Dazu gehörte auch der Kopf eines Schafs im mittleren Bereich. Diese rekonstruierende Ergänzungsmethodik ist von konservatorisch-ethischer Seite vertretbar. Sämtliche Ornamente und Schafe basieren auf Schablonen, eine individuelle Handschrift existiert nur in den Tugenddarstellungen. Keine der Ergänzungen verlangte freie Interpretation, bis auf den fehlenden Schafskopf waren alle Fehlstellen von kleinerem Umfang.

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Im Bereich des Kabelkanals waren mehrere Medaillons in den Eckbereichen des Chors nur zu geringen Teilen erhalten, die Figuren eines Drachen, eines Löwen und eines Zentauren waren zerstört. Zudem waren die Ornamente beschnitten und das abschließende rote Band fehlte. Hier entschied man sich, die Gipsergänzungen im Lokalton auszuführen und die fehlende Ornamentik anschließend malerisch zu rekonstruieren (siehe Abb. 7). Alle Ornamente und figürlichen Darstellungen konnten anhand erhaltener Motive kopiert werden.

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An der Chornordseite, wo sich eine etwa 1,5 qm große  Zementergänzung befand, liegt der Zugang zur Sakristei. Hier fehlte ein Teil der Innenrahmung des Chorfußbodens sowie das gesamte umlaufende Band mit Ranken und Figuren. Diese Zone unterliegt als Durchgangsbereich relativ starker Abnutzung, weshalb eine Bemalung nicht in Frage kam. Daher wurden die Rahmungen und Streifen in Inkrustationstechnik rekonstruierend ergänzt, um so das Gliederungsschema des Fußbodens wiederzugewinnen. In der Innenfläche des Bandes erfolgte hingegen eine monochrome Ergänzung im Lokalton ohne Rekonstruktion der Ornamente (siehe Abb. 8).

Alle Ergänzungen wurden mit fein gemahlenem Hochbrandgips9 ausgeführt. Die Einstellung der Farben erfolgte in Anpassung an den vorhandenen Bestand mit Trockenpigmenten. Der werktechnische Aufbau wurde dem Bestand angepasst: Auf einer verdichteten Sandschüttung wurde als erste Schicht unpigmentierter Hochbrandgips eingebracht. Darauf folgte eine zweite Schicht in den jeweiligen Lokaltönen. Inkrustationsbereiche wurden mit Linol- und Holzschnitzwerkzeugen ausgearbeitet und mit den entsprechenden Gipsmassen eingelegt. Alle Gipsergänzungen wurden auf Oberflächenniveau abgehobelt und feingeschliffen. Die malerische Rekonstruktion der Ornamentik im Bereich des Kabelschachts erfolgte mit Acrylfarben.

Dr. Stefanie Lindemeier und Larissa Piepo

¶1 vgl. NHStA H, Best. Hann. 74 Freudenberg, Sign. 1168. Vertrag zwischen Hase und Kirchengemeinde vom 12.09.1865. Pfarrarchiv Bassum, Repositur II, Fasz. 38, Vertrag zwischen Hase und Kirchengemeinde vom 19.07. und geänderter Vertrag vom 01.12.1865. ¶2 vgl. Pfarrarchiv Bassum, Repositur II, Fasz. 38, Vertrag zwischen Hase und Schröer vom 09.05.1868, Pfarrarchiv Bassum, Repositur II, Fasz. 38, Schreiben Theodor Maßlers an Baurat Hase vom 27.05.1869, Die Denkmalpflege in der Provinz Hannover 1928, S. 19. ¶3 vgl. Pfarrarchiv Bassum, Repositur II, Fasz. 38, Kostenvoranschlag Maßlers vom April 1869 und Schreiben Maßlers an Hase vom 27.05.1869. Zu Bücken vgl. Niedersächsischer Heimatbund e. V., Die rote Mappe 2005, S. 23. ¶4 Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Schriftarchiv, Bassum, Schreiben des Provinzialkonservators Siebern vom 21.07.1927. ¶5 Fotos von Friedrich Buhmann 1927–29, Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Fotothek. ¶6 Naturwissenschaftliche Untersuchung durch Materialprüfanstalt Bremen, Dr. Frank Schlütter 2012. ¶7 vgl. o. V.: Gips und seine historische Verwendung, o. D., www.ziegelei-hundisburg.de/pdfs/hochbradgips/historische%20Verwendung.pdf (Link aufgerufen 03.06.2018). ¶8 Vgl. Schlütter et al. 2012, S. 52. ¶9 Hochbrandgips »Keuper« der Ziegelei Hundisburg.