Abb.1: Wandmalerei mit der Darstellung des Jüngsten Gerichts

Abb.2: Freilegeprobe im Gesicht einer Figur. Unter der Übermalung ist die Malerei des 16. Jahrhunderts in hellem Rosa und feiner schwarzer Zeichnung erhalten.

Abb.3: Kopf der Maria. Gestörte Tünche- und Malschichten mit malerischem Mischbestand. Nimbus bräunlich übermalt.

Abb.4: Detail im Gewand der Maria. Die blaue Fassung von 1883 ist verschwärzt.

Abb.5: Detail, abgelöste und aufstehende Malschichtschollen.

Abb.6: Entfernen der Gipsgittungen.

Abb.7: Putzergänzung und Kittung.

Abb.8: Endzustand mit Strichretuschen auf Ergänzungen und lasierenden Retuschen in Binnenfehlstellen.

Wandmalerei des Jüngsten Gerichts in der Leonhardskirche in Frankfurt/Main

Das Wandgemälde aus der Zeit um 1520 befindet sich an der Westwand des Hauptschiffs in einer Höhe von ca. 12 Metern. Seine Gesamtgröße beträgt ca. 17 Quadratmeter. Es zeigt das "Jüngste Gericht", bei dem Christus die Menschen in Selige und Verdammte scheidet.

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Geschichte
Die Daten zur Restaurierungsgeschichte basieren vorrangig auf den Ergebnissen unserer Quellenrecherchen in verschiedenen Frankfurter Archiven. Die Kirche St. Leonhard wurde um 1270 fertig gestellt. Ab 1425 wurde der Chor neu gebaut und 1434 geweiht. 1440 erhielt der Chor eine Ausmalung. Die hier behandelte Malerei entstand um 1520 während des Langhausumbaus.1 Spätestens ab 1802 war der Innenraum weiß getüncht.2 1880-1882 kam es zu einer grundlegenden Renovierung der Kirche3, wobei mehrere Wandmalereien entdeckt und freigelegt wurden, u.a. auch die des Jüngsten Gerichts.4 1883 erfolge die Restaurierung dieser Malerei.5

Aufgrund der restauratorischen Untersuchung und von Fotos nach der Restaurierungsmaßnahme von 1883 lässt sich sagen, dass der freigelegte fragmentarische Bestand vollständig übermalt wurde. Der Maler hat sich dabei bezüglich der Inhalte und der Farbigkeiten an der Vorlage orientiert, die künstlerische Gestaltung ist hingegen vermutlich eine vollständige Nach- bzw. Neuschöpfung (vgl. Abbildung 2).

1926/27 kam es zu einer weiteren Renovierung und purifizierenden Restaurierung der Kirche, wobei, unseren Untersuchungen zufolge, die Wandmalerei des Jüngsten Gerichts nicht überarbeitet wurde. Ganz anders war das in der folgenden Restaurierungsphase 1946/47, die bislang weder in der Literatur noch in den Berichten zur restauratorischen Untersuchung berücksichtigt worden war. Vorhandene Archivalien belegen hingegen in aller Deutlichkeit, dass in diesem Zeitraum tatsächlich umfassende Maßnahmen durchgeführt wurden, die über die Beseitigung von Kriegsschäden hinausgingen. So wurde auch die Malerei des Jüngsten Gerichts umfassend restauriert.6 „Die Restaurierung der stark verschmutzten und beschädigten Fresken über dem Triumphbogen und im Chor der Kirche nahm Herr Otto Kienzle, Kunstmaler und Restaurator, Alsbach a. d. Bergstr. vor.“7

Diese Restaurierung hatte zum Resultat, dass die historisierende Übermalung weitgehend entfernt wurde. Stattdessen führte man neue Übermalungen aus, die nun in Lasuren bestanden (vgl. Abbildung 3). Dabei kam es zur Veränderung der Farb- und Formgebung. Die vorher differenziert erkennbaren Hintergründe mit all ihren Details sind in Grün-, Braun- und Gelbtönen übermalt worden. Die kräftige Farbgebung des 19. Jahrhunderts wurde durch weniger kräftige Farbtöne ersetzt oder, wie in den Nimben, durch bräunliche Lasuren stark zurückgedrängt. Besonders die Faltenwürfe sowie die Ausgestaltung der Figuren und ihrer Physiognomien sind stark vereinfacht und wirken weniger plastisch.

1960-64 fand die bis dato letzte Restaurierung statt.8 Anhand der restauratorischen Untersuchungen, die wir an der Malerei über dem Chorbogen durchführten, lassen sich die Maßnahmen von 1960 genauer einordnen. So stammen die vielfältigen Gipskittungen aus dieser Zeit. Auch die Strichretuschen stammen aus den 1960er Jahren, an vielen Stellen wurden Fehlstellen auch mit matt wirkenden Farbtupfen „retuschiert“.

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Bestand und Zustand
Der spätmittelalterliche Putzbestand liegt noch in ca. 50% der Fläche vor. Es handelt sich um einen hellen, ca. 2-4 cm dicken, Kalkputz, der oberflächig geglättet aber nicht stark verdichtet ist. Der Putz ist weitgehend intakt und homogen. Bei der spätmittelalterlichen Maltechnik handelt es sich um eine Kalkmalerei. Der mittelalterliche Malereibestand ist so stark reduziert, dass nur noch wenige fragmentarische Partien vorliegen. Eine Freilegeprobe im Bereich der Auferstehenden zeigt auf der malschichttragenden Tünche ein helles rosafarbenes Inkarnat und eine feine schwarze Binnen- und Konturzeichnung (vgl. Abbildung 2). Mit wenigen, schnellen Strichen ist die Zeichnung angelegt, die auf hohe malerische Qualität hinweist.

In der Restaurierungsphase gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden großflächige Putzergänzungen vorgenommen, die heute ca. 50% des Putzbestands ausmachen. Es erfolgte eine vollständige Übermalung des freigelegten mittelalterlichen Bestands in Anlehnung an das ursprüngliche Bildprogramm. Man hat den älteren Bestand in den grundsätzlichen Formen rekonstruierend übermalt. Die Malerei ist jedoch weit weniger qualitätvoll als die mittelalterliche, die Pinselführung gröber und die Anatomie verfälscht. Diese Feststellung konnte in einem bis auf den mittelalterlichen Bestand freigelegten Bereich in Arm und Gesicht eines Auferstehenden getroffen werden. Die Nimben wurden in dieser Phase vergoldet.

Das heutige Erscheinungsbild geht weitgehend auf die Restaurierung 1946/47 zurück. In dieser Phase kam es wieder zu einer weitgehenden Übermalung des Bildes, möglicherweise kombiniert mit einer vorherigen Reduzierung des Bestands aus dem 19. Jahrhundert. Fest steht, dass die Malerei des 19. Jahrhunderts unter der späteren Übermalung nur fragmentarisch erhalten ist. Diese Übermalung vereinfachte die Formgebung der Figuren, besonders der Gewänder und überdeckte stark farbige Bereiche mit dunkleren, gedeckten Tönen. Insgesamt hat man die kräftige Farbgebung des 19. Jahrhunderts stark zurückgedrängt, indem man sie mit bräunlichen oder gedeckten Farben übermalte. Die Malerei präsentiert sich kontrastarm und mit gedeckten Farbtönen. Ein Ergebnis war zum Beispiel die braune Übermalung der vergoldeten Nimben (vgl. Abbildung 3).

Die naturwissenschaftliche Untersuchung konnte an mehreren Stellen eine starke Vergipsung und Verschwärzung des Bestands aus dem 19. Jahrhundert nachweisen (vgl. Abbildung 4).9 Beides kann auf die kriegsbedingten Schäden wie Brand und eindringende Feuchtigkeit durch offene Dächer zurückgeführt werden. Es ist daher anzunehmen, dass man es 1947 mit einem stark geschädigten und in der Lesbarkeit stark eingeschränkten Wandgemälde zu tun hatte.

Die bauseitige Vermutung, dass die Wandmalerei flächendeckend mit einem Kaseinüberzug versehen wurde, war naturwissenschaftlich nicht verifizierbar. Zwar konnte Kasein nachgewiesen werden, vermutlich handelt es sich hier aber um das Bindemittel einer Übermalungsphase. Auffallend sind aber glänzende Bereiche im unteren Teil der Malerei, die klar auf einen Überzug hindeuten. Eine Schabprobe dieser glänzenden Schicht ergab eindeutig ein Protein-Bindemittel auf Kaseinbasis.10

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Geöffnete Flanken bzw. Risse zwischen den Putzergänzungen des 19. Jahrhunderts und dem mittelalterlichen Bestand sind mit einem Gipsmörtel gekittet. Ebenfalls findet sich Gipsmörtel in zahlreichen Löchern, die vermutlich aus einem Fixierversuch resultieren, indem man im Bereich von Hohlstellen Löcher bohrte und Gips einbrachte.
Diese Gipsmörtel stammen aus der Renovierungsphase der frühen 1960er Jahre. Ebenfalls aus dieser Zeit stammen zahlreiche Retuschen, die wahlweise als Strichretuschen oder als flächige Lasuren angelegt sind.

Die Wandmalerei zeigt heute einen Mischbestand aus mindestens drei verschiedenen Phasen, wobei der Bestand der Entstehungsphase minimal ist. Die Restaurierungsphasen des späten 19. Jahrhunderts und der 1940er Jahre bilden ein nur in Teilen zu differenzierendes Konglomerat und werden zusätzlich von den Überarbeitungen der 1960er Jahre überlagert.

Die Wandmalerei zeigt deutliche Spuren der Freilegung. Sie wurde grob mit Spachteln freigelegt, deren Hackspuren sich noch heute an der Wand finden. Man unterschied zwischen der Bearbeitung figürlicher Bereiche und des Hintergrundes. Erstere sind zwar nicht schonender, aber detaillierter freigelegt worden, während letztere nur in Teilen freigelegt wurde. Vermutlich war das Ziel der Freilegung die Lesbarkeit der mittelalterlichen Malerei, um sie anschließend rekonstruierend zu übermalen. Die Reste der Überfassungen liegen als einzelne Schollen auf der gesamten Oberfläche auf und wurden Ende des 19. Jahrhunderts mit übermalt.

Vielfach lassen sich aufstehende und abgelöste Malschichtschollen feststellen, die vermutlich auf ein spannungsreiches Bindemittel bzw. eine überbundene Fassung schließen lassen (vgl. Abbildung 5). Dies betrifft in erster Linie die Übermalungen von 1946 und der 1960er Jahre. Bei der Ablösung reißen sie die Fassung des 19. Jahrhunderts mit.

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Auch Bereiche mit Totalverlust der Fassung sind vorhanden. Diese belaufen sich in erster Linie auf die Putzergänzungen. Unter den Übermalungen zeigt sich die Malerei des 19. Jahrhunderts vielfach völlig unterbunden und pudrig aufgelöst. In anderen Bereichen ist feststellbar, dass sie unter der Übermalung stark verschwärzt ist. Durch die naturwissenschaftliche Untersuchung ließ sich belegen, dass diese Verschwärzung ursächlich auf eine stark verrußte Gipskruste zurückgeht.

Aus der Restaurierungsmaßnahme von 1960-64 resultierten zahlreiche, gipshaltige Kittungen entlang der Flanken der früheren Putzergänzungen. Zusätzlich fand sich Gips in zahlreichen Rissen und Löchern. Entlang der Gipskittungen sind Salzausblühungen feststellbar. Der Gips birgt bei vorhandener Feuchtigkeit Schadenspotential durch Einschwemmen der Sulfate in den umgebenden Kalkmörtel. Durch diese Schadensmechanismen kann es zu weiteren Malschichtverlusten kommen.

 

Konservierung und Restaurierung
Nach einer schonenden Trockenreinigung erfolgte in kleinen Bereichen eine Festigung pudernder Malschichten. Die Fixierung aufstehender Malschichtschollen hingegen war in weiten Bereichen notwendig. Sie erfolgte wahlweise mit einem Cellulosderivat oder Hausenblasenleim.

Alle gipshaltigen Ergänzungen und Kittungen wurden aufgrund ihres Schadenspotentials entfernt (vgl. Abbildung 6). Dabei nahm man den Verlust der Retuschen der 1960er Jahre in Kauf. Die Putzergänzungen von 1883 wurden belassen, um die Malerei in diesen Bereichen erhalten zu können.

Putzergänzungen erfolgten mit Kalkmörtel bis knapp unter Oberflächenniveau. Um die feine Oberfläche der ursprünglichen Kalktünche nachzustellen, kam eine wasserfreie Kittmasse auf Basis von Weißkalkhydrat zum Einsatz.11 Hiermit wurden alle zuvor ergänzten Fehlstellen sowie flache Ausbrüche < 5mm versehen (vgl. Abbildung 7).
Die Kittmasse besteht aus Tylose, Weißkalkhydrat, Marmormehl und Pigmenten in Ethanol. Sie trocknet, bindet aber im alkoholischen Milieu nicht ab, so dass Ränder gereinigt werden können. Abschließend werden die Kittungen mehrfach befeuchtet und können abbinden.

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In sämtlichen Malschichtfehlstellen erfolgten Retuschen (vgl. Abbildung 8). Die Retusche erfolgte als schrittweiser Prozess, der immer wieder mit Bauleitung und Denkmalpflege abgestimmt wurde.

Fehlstellen im Bestand und reduzierte Fassungsbereiche wurde mittels Lasuren geschlossen. Die Retuschen weisen einen reduzierten, harmonisierenden, fondtonartigen Grundfarbwert auf, der optisch die Fehlstelle schließt und in den Hintergrund tritt. Als Malmittel diente ein reversibles, wasserlösliches Cellulosederivat.

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Auf allen aktuellen Kittungen und Putzergänzungen erfolgten Strichretuschen. Der Farbwert der Retusche richtet sich nach dem jeweils angrenzenden Farbwert des Bestands. Die Strichretuschen wurden als mehrfacher Auftrag in unterschiedlichen Volltönen ausgeführt, so dass, aus einigem Abstand betrachtet, eine geschlossene, farbige Fläche entstand. Bei Nahdistanz sind die Strichretuschen deutlich vom Bestand unterscheidbar. Als Malmittel diente ein reversibles, wasserlösliches Cellulosederivat.

Die Anwendung der verschiedenen Varianten ermöglicht die vollständige Unterscheidung der aktuellen Restaurierungsmaßnahmen vom historischen Bestand.

Dr. Stefanie Lindemeier

¶1 Vgl. Hampel, Andrea: Die St. Leonhardskirche, Einführung zur Innenrestaurierung und archäologischen Grabungsergebnissen, in: Dombaumeistertagung Frankfurt am Main 2012, Frankfurt 2013 und Natale, Herbert: Die St. Leonhardskirche im Spiegel der Frankfurter Stadt- und Kirchengeschichte, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte, 18. Jg., Speyer 1966, S. 5f. ¶2 Vgl. Wolff, Carl / Jung, Rudolf: Die Leonhards-Kirche, in: Die Baudenkmäler in Frankfurt am Main, Teil 1, Kirchenbauten, Frankfurt 1896, S. 29.¶3 Vgl.Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Magistratsakten, Sign. 502. ¶4 Vgl. Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Magistratsakten, Sign. 502, Bericht der Bau-Deputation an den Magistrat vom 10.08.1881. ¶5 Vgl. Wolff, Carl / Jung, Rudolf: Die Leonhards-Kirche, in: Die Baudenkmäler in Frankfurt am Main, Teil 1, Kirchenbauten, Frankfurt 1896, S. 29 f. ¶6 Vgl. Domarchiv Frankfurt, Ordner St. Leonhard, aus dem Leben der Pfarrei 1948-60, Schreiben Pfarrer Richters an das Historische Museum vom 15.06.1955. ¶7 Domarchiv Frankfurt, Ordner St. Leonhard, aus dem Leben der Pfarrei 1948-60, Schreiben Pfarrer Richters an das Historische Museum vom 15.06.1955. ¶8 Vgl. Natale, Herbert: Die St. Leonhardskirche im Spiegel der Frankfurter Stadt- und Kirchengeschichte, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte, 18. Jg., Speyer 1966, S. 5f. ¶9 Vgl. Jägers, Elisabeth / Jägers, Erhard: Unpubl. Bericht zur naturwissenschaftlichen Untersuchung an Materialproben von St. Leonhard, Frankfurt vom 18.06.2018. ¶10 Vgl. Jägers, Elisabeth / Jägers, Erhard: Unpubl. Bericht zur naturwissenschaftlichen Untersuchung an Materialproben von St. Leonhard, Frankfurt vom 18.06.2018. ¶11 Der Einsatz dieser speziellen Kittmasse erfolgte auf Anregung von Christine Kenner, Leiterin der Abteilung Restaurierung und Bauforschung am Landesamt für Denkmalpflege Hessen, die sie seinerzeit entwickelt hat. Vgl. Kenner, Christine: Kittung bemalter Kalkschlämmen, in: Dispergiertes Weißkalkhydrat, hrsg. von Elisabeth Jägers, Petersberg 2000, S. 121-132.